Lesung „Sarajevos Heldinnen – damals und heute. Klischees und Paradigmenwechsel des Frauenbildes in der Geschichte des Balkans
Eingereicht von: Lesezentrum Steiermark, Institut für Bibliotheksorganisation, Bibliotheksentwicklung und Lesepädagogik
Die bosnisch-deutsche Lesung mit der Journalistin Sibylle Hamann und Dragana Tomašević-Karahasan fand am 16. Juni 2014 im Saal des Literaturhauses Graz statt und fand großen Anklang bei den mehr als 100 bosnischen und österreichischen BesucherInnen.
Im Fokus dieser Veranstaltung stand neben der Literatur, der Zweisprachigkeit (Tomašević-Karahasan las auf Bosnisch) und den Frauen(bildern) vor allem die Auflösung von Klischees und Stereotypen. Nach einleitenden Worten von Dr.in Verena Gangl vom Lesezentrum und Grußworten von Landesrätin Dr.in Bettina Vollath, Stadträtin Lisa Rücker und Generalkonsul von Bosnien und Herzegowina Dr. Jörg Hofreiter übernahm Moderator Norbert Mappes-Niediek, Süd-Ost-Europa-Experte, und stellte die Autorinnen des Abends vor. Hamann, unlängst mit dem Kurt-Vorhofer-Preis ausge-zeichnet und Aufdeckerin der Arbeitsbedingungen von Migrantinnen in ihrer Reportage „Saubere Dienste", las in der Folge aus ebendiesem Werk. Zuvor stellte die bosnische Publizistin Dragana Tomašević-Karahasan einige ihrer Gedichte und Frauengeschichten aus Sarajevo vom 17. Jahrhundert bis heute vor, die sie in „Sve bih zemlje za Sara'jvo dala" gesammelt hat.
Die anschließende Diskussion mit den Autorinnen, an der sich das Publikum rege beteiligte, dreht sich u.a. um den Krieg im ehemaligen Jugoslawien, der zum einen eine Emanzipation der bosnischen Frau ein Stück weiter verhinderte, zum anderen aber auch das Frauenbild insofern verschob, als die Männer plötzlich abwesend waren und Frauen selbst für sich und die Familie sorgen mussten. Hamann betonte, dass die Migrationserfahrung von Frauen eine universelle ist und sich nicht nur auf die Frau vom Balkan bezieht; durch Migration können Frauen auch die Chance erhalten, über sich hinauszuwachsen und sich vom patriarchalischen System zu lösen.
Musikalisch umrahmt wurde der lebendige Abend von zwei bosnischen Künstlerinnen am Klavier und an der Querflöte und sowie vom bosnischen Kinderchor "Baloni" unter der Leitung ihrer Lehrerin für den bosnischen Muttersprachenunterricht, Adida Oprešnik. Beim anschließenden Buffet und dem Büchertisch der Buchhandlung Leykam bestand die Möglichkeit, sowohl unkompliziert untereinander als auch mit den PolitikerInnen und AutorInnen ins Gespräch zu kommen und die Bücher signieren zu lassen.
Obwohl die Themen Frauen, Emanzipation und Migration auf hohem fachlichem Niveau dargestellt und diskutiert wurden, war es eine Veranstaltung für alle BesucherInnen, die sich zu einem echten Dialog entwickelte. Zu bemerken war ein hoher Anteil an bosnischen Müttern, die vielleicht nicht regelmäßig an so hochschwelligen Literaturveranstaltungen teilnehmen. Da Teile der Lesung schon vorab aus dem Bosnischen übersetzt und auf die Wand projiziert wurden und Dragana Tomašević auch in der Diskussion auf Bosnisch sprach (mit Übersetzerin), konnten anwesende Personen mit weniger guten Deutschkenntnissen ebenso der Veranstaltung folgen und sich damit identifizieren. Die bosnisch-sprachigen Gäste konnten sogar im positiven Sinne von ihrer Zweisprachigkeit profitieren, denn im Gegensatz zur nur deutschsprachigen BesucherInnengruppe war es ihnen möglich, allen Teilen der Lesung/allen Programmteilen ohne Übersetzung zu folgen - Deutsch als „Hauptsprache" trat im Gegensatz zu sonst einmal wohltuend in den Hintergrund und ließ beide Sprachen gleichberechtigt nebeneinander treten.
Darüber hinaus war das Publikum auch altersmäßig sehr bunt, viele jüngere Personen (Studierende) mischten sich unter die bosnischen Hausfrauen, die ihre Kinder im Chor begleiteten, Slawistik-ProfessorInnen oder PolitikerInnen. Die Kinder waren darüber hinaus sehr stolz, ihre bosnischen Lieder singen zu dürfen und der Einstieg in den Abend mittels einer bosnischen Pastorale (nur instrumental) sorgte für die notwendige Einstimmung auf den kulturellen Austausch.
Die ungezwungene Stimmung und das zwangloses Gespräch auch über die Sprachgrenzen hinweg setzten sich im informellen Teil beim Buffet fort.
Die Rückmeldungen zu den Autorinnen und dem Moderator waren nur positiv, einige BesucherInnen sagten, sie haben ihre Liebe zum Lesen/Vorlesen wieder entdeckt. Die Veranstaltung hätte noch länger dauern können, da der Diskussionsbedarf gar nicht enden wollte.
Das Highlight
Die Dialogveranstaltung hat auf Autorinnen- und Publikumsebene zwei scheinbar sehr unterschiedliche Welten - Sprache, Kultur, Generationen, Frauentypen und -bilder, Schreibweisen - zusammengeführt, die sich auch durch das künstlerische Rahmenprogramm perfekt ergänzt und eine tiefergehende Reflexion über Rollen sowie kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten eröffnet haben.